Meine Schwiegermutter macht jeden Tag das Gleiche zur gleichen Zeit. Sie steht jeden Tag um Punkt Acht auf, trinkt um Punkt zehn nach Acht ihren ersten Kaffee und raucht eine Zigarette und um Punkt zwanzig nach Acht zieht sie sich an. Dann staubsaugt sie und isst anschließend ein Frühstücksbrötchen. Ich weiß das so genau, weil sie es mir immer und immer wieder erzählt. Meine Schwiegermutter mag ihr Leben nicht besonders und manchmal denke ich mir: Alles könnte sie ändern, wenn sie nur einmal fünf Minuten später aufstehen würde.
Ich selbst probiere gerne neues aus. Fahre manchmal einen anderen Weg zur Arbeit, probiere Sportarten, von denen ich überzeugt bin, dass sie mir eigentlich nicht liegen und - entdecke, dass Spinning überhaupt nicht langweilig ist, sondern höllisch Spaß macht und das ich trotz Höhenangst eine 18-Meter hohe Kletterwand erklimmen kann.
Mein neuestes Experiment: salzige Weihnachtsplätzchen. Denn zu einem Glas Sekt schmecken süße Plätzchen nicht. Also Mamas altes Backbuch aufgeschlagen und ein bisschen herumgeblättert. Käseplätzchen! In den Mürbeteig kommen drei Sorten Käse und ein Teelöffel Natron, was den Teig automatisch zu einer Art Blätterteig werden lässt. In unterschiedlichen Formen ausgestochen und mit unterschiedlichen Toppings bestreut, werden sie zu einem vielfältigen Geschmackserlebnis und einem Augenschmauß. Meine Freunde vom Brunch-Club schauen zuerst etwas skeptisch, probieren sich aber dann tapfer durch Kekse mit grobem Meersalz, gehackten Pistazien, Kümmel, Sesam, Leinsamen und Sonnenblumenkernen. Immer häufiger greifen die Hände in die Blechdose und ich bin froh, dass ich gleich die doppelte Menge Teig gemacht habe. Der Sekt schmeckt mit den würzigen Keksen gleich nochmal so gut und immer häufiger fallen lobende Worte. Mein Fazit: Öfter mal was neues gibt dem Leben mehr Würze!

Wie besch... kann ein Tag noch anfangen???
Ich wollte mir mein Lieblings-Frühstück machen: Griechischer Sahne-Joghurt mit Honig, Mandeln (oder Nüssen) und einem Löffel Leinsamen. Die kaufe ich eigentlich immer für mein Pferd, aber angeblich sollen sie meine Haare schön glänzend machen. Und irgendwie schmecken sie mir.
Mit halb geschlossenen Augen öffne ich also den Kühlschrank, nehme den Joghurt heraus, gebe ein paar Löffel davon in meine Lieblings-Schüssel, füge 2 Löffel Honig, und zwei Löffel geriebene Mandeln hinzu. Vor dem Gewürzregal denke ich noch: Vorsicht, Augen auf, NICHT das Glas mit den Leinsamen mit dem Glas verwechseln, in dem das Pizzagewürz aufbewahrt wird. Riesel-Riesel, umrühren, Joghurt fertig. Schon der erste Löffel schmeckt komisch, jeder weitere noch komischer. Die Schüssel ist fast leer als ich mir schließlich aufgeht, dass ich doch das Pizza-Gewürz in mein Joghurt gerührt habe und der komische Geschmack von Chilliflocken, Oregano, Basilikum und Thymian kommt.
Mein erster Gedanke: Übergeben. Mein zweiter: Joghurt wegkippen und einen neuen anrühren. Mein dritter: nochmal probieren, denn immerhin habe ich die Schüssel ja fast schon aufgegessen. Tja, was soll ich sagen... eigentlich schmeckt die Mischung gar nimcht so übel... Trotzdem, die Leinsamen-Variante schmeckt besser. Morgen mache ich die Augen ganz auf, wenn ich mir mein Frühstück mache. Solche Überraschungen braucht kein Mensch!

Bio, Makrobiotisch, Vegan, Vegetarisch, aryuvedisch, Low-Carb, Low-Fat... Wie leicht war das Leben doch in meiner Kindheit... Wenn ich Hunger hatte, schaute ich im Kühlschrank nach, was da war und ich stopfte bedenkenlos so lange alles in mich rein, bis der Hunger vorbei war oder aber, bis mich jemand zum Spielen rief.
Heute muss ich nicht nur entscheiden, was ich esse, sondern unter Umständen den Mondkalender checken, mathematische Formeln anwenden, Broteinheiten zählen oder jede Komponente meiner Mahlzeit googeln, bevor ich sie in den Topf werfe.
Sitze ich mit Freunden im Restaurant, werfe ich prüfende Blicke in die Runde, bevor ich meine Wahl treffe. Wird sich der Vegetarier am Tisch an dem saftigen Burger stören, der mir vorschwebt? Wird die Salat-ohne-Brot-und-Dressing-Tante schlechte Laune kriegen, wenn ihr der Duft meiner Nudeln in Sahnesauce mit viel Parmesan in die Nase steigt? Ernte ich einen vorwurfsvollen Blick von der No-Carb-Verfechterin, wenn ich mir zu meinem Chilli Con Carne eine zweite Tortilla bestelle? Wird mir mein All-You-can-eat Buffet verleidet, durch die verhuschte Kirchentante, die mich ausgerechnet jetzt an die hungrigen Kinder von Äthiopien erinnern muss? Wird mir die Internet-Detektivin gleich die Schadstoffe aufzählen, die ich meiner Leber mit den Muscheln in meinem Meeresfrüchte-Risotto zuführe?
Unter all diesen Menschen vergeht mir manchmal nicht nur die Lust auf´s Essen, sondern auch die Freude an meinen kulinarischen Erkundungsreisen.
Ich wünsche mir eine bessere Welt, in der Delphine nicht in Schleppnetzen ertrinken und Tiere artgerecht gehalten werden. Ich wünsche mir Lebensmittel, die meinen Körper gesund halten und stärken, statt mich krank zu machen und zu vergiften. Aber ich glaube auch, dass keines dieser Ziele durch radikale Verweigerung zu erreichen ist. Den Fleischgenuss zur Ausnahme zu machen, Bio Gemüse zu kaufen und Lebensmittel zu wählen, mit deren Gewinnung, Haltbarkeitsverlängerung oder Verpackung unserem Planeten möglichst keinen Schaden zufügt, ist mein gesunder Mittelweg.